„Sehnsuchtsobjekte“

Dr. Christoph Kivelitz, 2006

Bär vor HerzenfensterKitsch ist ein zumeist abwertend gebrauchter gemeinsprachlicher Begriff zur Bezeichnung eines aus Sicht des Betrachters emotional minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruckes. In Gegensatz gebracht zu einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne werten Kritiker mit dem Gebrauch des Wortes "Kitsch" einen aus ihrer Sicht zu einfachen Weg zum Ausdruck eines Gefühls. Daher werden Gefühle in diesem Zusammenhang abwertend als sentimental, trivial oder kitschig bezeichnet. Als psychologische oder soziale Attribute solcher als kitschig bezeichneten Empfindungen nennt die Kritik: Konfliktlosigkeit, Kleinbürgerlichkeit, Massenkultur, Verlogenheit, Stereotypisierung, Zurückgebliebenheit, Wirklichkeitsflucht, falsche Geborgenheit oder etwa dümmlich Tröstende(s) (Adorno).

Bärchen orangeDie in der für das Kulturmagazin Lothringen geschaffenen Installation von Gudrun Schuster legen diese Assoziationen durchaus nahe: Servietten-Dekos mit rot pulsierenden Herzen, eine Inschrift, die – dem sentimentalen Sinnspruch auf einer selbst gehäkelten Serviette nicht ganz unähnlich – direkt in die Wand gestickt zu sein scheint, um beim Betrachter Gefühlsduseligkeit herbeizuführen, grotesk verzierte Gummibärchen in Übergröße und geschmacklose Dekostoffe im Tiger-Look, so wie wir es aus den Ramschkatalogen großer Versandhäuser oder einem etwas schlüpfrigen Spätabendprogramm kennen mögen. All dies schafft Empfindungen von Kuscheligkeit, evoziert Erinnerungen an bestimmte Melodien, Texte oder einfach an den süßlichen Geschmack von Gummibärchen, die ja mittlerweile das kollektive Gedächtnis mehr als einer Generation geprägt und – in gewisser Weiser – Kultstatus errungen haben, damit sogar die Ära des mittlerweile kaum noch diskutierten Rinderwahns überstehend.

Bärchen mit GoldauflageEben hier setzt die Künstlerin Gudrun Schuster an. Sie greift das Gummibärchen als Ready Made auf, um dessen Erscheinungsbild vergrößert in Gips zu reproduzieren und dann in verschiedenster Weise zu verwandeln und in neue Zusammenhänge zu rücken. Am Anfang steht dabei die Gegenüberstellung mit einer Figur, die scheinbar einem grundsätzlich anderen Kontext entnommen wurde: die des Buddha oder anderer Gestalten aus der fernöstlichen Religion. Diese Konfrontation basiert auf der Erkenntnis, dass diese Figuren mittlerweile massenhaft vervielfältigt und – als „Sehnsuchtsobjekte“ – gleichermaßen verkitscht worden sind. Buddha und Gummibärchen dienen in vergleichbarer Weise als Projektionsfiguren, die bestimmte Vorstellungen, Ängste oder Hoffnungen in sich aufnehmen und schützend der gelebten Wirklichkeit vorgehalten werden. Es geht darum, die Realität mit ihren Alltagsproblemen – wie durch ein ästhetisches Placebo – zu verschleiern oder zu verdrängen. Dieser Prozess wird in den Objekten von Gudrun Schuster nicht einfach bloßgestellt oder entlarvt, sondern in seiner Faszination und positiven Anziehungskraft zur Anschauung gebracht.

Bärchen mit LockeBeginnen wir mit einem Rundgang durch die Räume der Ausstellung. Zunächst begegnet uns eine klobige, aus Holz geschnittene Gestalt, die sich uns wie ein massiver Block entgegen stellt. Nur mit Mühe finden wir hier die Grundform des Gummibärchens mit den niedlich vorgestellten Stummelarmen und den kess aufgerichteten Ohren wieder. Kaum verbindet sich das Bild dieser plumpen Erscheinung mit dem Begriff des „Sehnsuchtsobjekts“, das durch den süßlich parfümierten Geschmack klebriges Wohlempfinden, auf jeden Fall eher positive Gefühle in uns wecken kann. Die einem Tigerfell ähnliche Bemalung des Objekts verweist uns dann aber in ganz andere Vorstellungsbereiche, die wenig mit der kindlichen Wirklichkeit der Gummibärchen zu tun hat: die einer wilden Natur, dem domestizierten und zum Verzehr gedachten Gummibärchen diametral entgegen gestellt. Das Bild des Tigers, der Wildkatze evoziert gleichermaßen aber auch erotisch sexuelle Vorstellungen, verknüpft sich mit dem Bild des Vamp, der verführerischen Frau, so wie es in der Kunst des Symbolismus in Malerei und Literatur aus männlicher Sicht in einer Abwehrhaltung gegenüber der sich emanzipierenden Frau hervorgebracht worden ist und bis heute in Werbung, Trivialliteratur und Pornographie fortlebt. Das süßliche Arrangement aus Spiegelscherben und einer Herzensblume zu Füßen dieses Monstrums steigert in seiner maßstäblichen und ästhetischen Unangemessenheit die Kitschigkeit dieser Installation bis zum Äußersten.

Papierinstallation farbig, sich drehendGeradezu albern wird es dann, wenn wir im kleinen Kabinett den „Westöstlichen Dialog“ mit der Künstlerin aufnehmen. Wie in einem höchst simpel konstruierten Karussell dreht sich hier ein Gummibärchen, einem Lampion aus Papier entwachsend, schäppernd und knatschend um sich selbst, vor Wind und Wetter zweifelhaft geschützt durch einen ebenenfalls papierenen Schirm, der durch eine vermutlich einem Gartenzwerg abgeformte Zipfelmütze bekrönt wird. Aus schillerndem Silberpapier geschnittene Streifen evozieren das Glamour einer Jahrmarktbudeninstallation. So besetzt den Raum eine billig errichtete Pagodenarchitektur, die die dekorativen Versatzstücke eines China-Imbisses wie auch die Ästhetik infantiler Werbewelten westlichen Massenkonsums in einer grotesken Tanzbewegung ineinander verschmilzt. Verlassen wir jedoch das hohe Ross des ästhetischen Diskurses, so vermögen wir uns durchaus dem poetischen Reiz dieses Aufbaus zu öffnen. Die fragile Konstruktion evoziert einfache mechanische Spielzeuge, die sich in ihrer Zweck- und Sinnlosigkeit jeder funktionalen Verwertung entziehen, die einfach nur für sich bestehen, um den Betrachter zu amüsieren oder vielleicht auch zu irritieren und zu verärgern. Auch die Haltung völliger Gleichgültigkeit ist möglich, doch auf alle Fälle werden die Dinge, die in diese Konstruktion eingegangen sind durch den neuen Kontext grundlegend verwandelt, den Ansprüchen des Massenkonsums entzogen und in einen Bereich subjektiver Anschauung verschoben.

Kellerraum mit angestrahlten Skulpturen auf SockelnSo verhält es sich auch mit der Installation im Kellerraum der Galerie. Wie in einem Preziosenkabinett stoßen wir hier in einem abgedunkelten Raum auf drei aufgesockelte Gummibärchen-Skulpturen, die in unterschiedlicher Weise ästhetisch überformt worden sind. Einfache Attribute, ein Goldüberzug oder Strass verknüpfen wiederum die seriell gefertigte Figur mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Bildern, berühren die Tradition eines fernöstlich angehauchten Exotismus gleichermaßen wie die Populärkultur des Films, ohne diese Bezüge jedoch klar zu benennen und in ihrer Bedeutung voll auszuschöpfen. Die Künstlerin Gudrun Schuster zielt vielmehr auf ein freies Flottieren und Verwandeln von Bedeutungen, die in unserer Betrachtung sich immer neu darstellen, wobei die zumdetaillierten Studium der Objekte bereit gelegten Spiegelchen hinzuzuziehen sind.

Monitor in KellerraumDer Film über die „Goldenen Eier“ setzt diesen Transformationsprozess des ganz Banalen, fast lächerlich Profanem zu etwas Neuem, beileibe nicht Sakralen, wohl aber Ungewöhnlichen, Unerwarteten fort. Hier zeigt die Künstlerin zwei mechanisierte Blecheier, so wie sie vermutlich jedes Kind als nicht allzu lang beliebtes Spielzeug zu Ostern oder wann auch immer mal bekommen hat. Für einen Augenblick mag dieses absurde Ding in seinem Funktionieren tatsächlich Lachen, Spott oder Freude auslösen, gerade in seiner Zwecklosigkeit und Albernheit. Doch schon bald wird es entweder defekt sein oder doch zumindest achtlos in die Ecke geworfen werden. Hier ist dieser kurze Augenblick des Albernseins gewissermaßen perpetuiert: nach 53 Sekunden startet immer von Neuem die Bewegung der beiden mit Entenfüßen versehenen Mechano-Eier über die spiegelglatt glänzende Oberfläche eines Tischs. Indem die beiden Protagonisten angeschnitten wiedergegeben sind, steigert sich die Irritation, lässt sich doch die Bewegung nicht eindeutig auf einen bestimmten Gegenstand zurückzuführen. In seiner ewigen Wiederkehr mutet die Inszenierung geradezu absurd verstörend an, lässt sie doch denken an Sisyphos mit seiner ständig wieder zu bewältigenden Last. Hier ist es der Humor, der auch eine Form der Bewältigung von Alltag sein kann. Mit diesem Humor sei abschließend zum erneuten Rundgang durch die Ausstellung eingeladen, zeigt sich doch hier, dass es nicht um Wertung oder Abwertung des zunächst als kitschig empfundenen gehen soll, vielmehr um die Erkundung der verborgenen Wege, die uns Zugang zu unserer Gefühlswelt, zu unseren Sehnsüchten verschaffen können.

home