Vorwitz und Hintersinn:
Gudrun Schusters Kunst

Hans Wernher von Kittlitz, 2003

Im Anfang war das Lachen, und das Lachen war bei Gott. Und er hielt sich vor Lachen den Bauch, bis ihm die Tränen kamen. - Eine solche „verkehrte Improvisation“ über ein Bibelthema (Johannes 1,1) fiel mir einmal ein, als ich Arbeiten von Gudrun Schuster vor mir hatte. Im folgenden möchte ich versuchen, dieses Bild in seinen Beziehungen zu der Künstlerin zu deuten, und es als möglichen Schlüssel zu ihrer Kunst ausprobieren.

Dass ein Künstler sich mit dem auseinandersetzt, was ist, mit dem also, was die Religionen als Schöpfung interpretieren, gilt als selbstverständlich; dass er darüber hinaus, indem er dies tut, selber zu einem Abbild Gottes wird, ist ein lang überlieferter Gedanke, der übrigens keineswegs nur „unserer“ Kultur angehört. Wenn Künstler sich mit den Dingen der Welt befassen, so stellen sie damit im besten Falle so etwas wie eine zweite Schöpfung in die erste, setzen zugleich der „alten Welt“ eine neue entgegen. Kennt man Gudrun Schuster und ihre Arbeit und versucht man, ob es ihr gefällt oder nicht, sie mit dieser Vorstellung in Zusammenhang zu bringen, so könnte es eine lachende Gottheit sein, als deren Spiegelbild sie erscheint. Auch das wäre nicht ganz neu: Götter, die sich über ihre Geschöpfe lustig machen, sie „auszulachen“ scheinen, kennen wir aus mythisch-legendären Überlieferungen. Aber hier ist mehr gemeint: Das Lachen selbst ist der Prozess der Schöpfung, die Welt entsteht aus dem und als Lachen, sie wird gemacht, indem sie gelacht wird. Als Antithese - oder Gegenpol - steht dazu das Motiv des weinenden Gottes (Heros), der ob der Vergeblichkeit seiner Schöpfung oder seines Eingreifens verzweifelt. In jeder Schöpfergottheit, in der einen mehr und der anderen weniger, ist der Aspekt des göttlichen Schelms enthalten. Ob die Gestalt des Tricksters, des schelmisch-närrischen Störenfrieds oder „Verderbers“ gegen eine „ernsthafte“ und „positive“ Schöpfungsidee und -gestalt gesetzt wird oder ob beide Seiten in ein und derselben Macht vereint auftreten, darauf kommt es letztlich gar nicht an. In jedem Fall ist beides virulent und präsent: Funktion und Dysfunktion, das Perfekte und das Unvollkommene, Hinfällige, das Ewige und das Vergängliche; das Gerade und das Schiefe, das Erhebende und das Niederdrückende, Lust und Leid, Schönes und Hässliches; es geht um Aspekte eines existentiellen Zwiespalts, wie er die Philosophen etwa auf der Ebene des Theodizee-Problems immer wieder - und niemals mit wirklich befriedigendem Ergebnis - beschäftigt hat.

Die Künstler haben da andere Möglichkeiten als die Philosophen. Sie sitzen nicht im Hirn Gottes und suchen darin nach der Welt und ihrem Sinn, sondern sie stellen, wie gesagt, als seine Nachahmer „einfach“ eine zweite Welt hin; eine ihrer besonderen Leistungen ist es, die Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten - oder die scheinbaren - der ersten Welt in ihrer zweiten deutlicher, prägnanter zur Erscheinung zu bringen, als sie im Original erkennbar sind. Die Künste - und die bildenden unmittelbarer und „materieller“ als alle anderen - kommen vom Gegenstand her, sie machen die Welt zu ihrem Gegenstand und zugleich umgekehrt einen „Gegenstand“, namens Kunstwerk, zu ihrer, zu d e r Welt; zugleich befinden sie sich geradezu im Gegen-Stand zur Welt, stellen sich zur und gegen die Welt. Eine Bildhauerin und Objektkünstlerin wie Gudrun Schuster ist Entdeckerin und Erfinderin gleichermaßen. Sie findet Gegenstände und erfindet sie schon dadurch neu, dass sie andere in ihnen sieht: „Objektion“ ist einer der Begriffe für eine solche Übertragung fremder Bedeutung auf einen Gegenstand - meist aufgrund formaler Affinitäten. Diese Verwandlung bringt sie besonders dadurch zuwege, dass sie auch äußerlich - im Werk - einen Gegenstand mit einem anderen verbindet, und zwar gleichsam auch gegen deren Willen oder umgekehrt mit deren (von ihr wahrgenommenen) Einwilligung, aber gegen die konventionell bestimmte Erwartung. Durch eine solche „ungewöhnliche Verbindung“ schafft sie neue Kontexte und damit für jeden beteiligten Gegenstand und dessen Teile neue Sinn-Möglichkeiten.

„Aufgespießt“, Gips, Gasbeton, Holz, Höhe 1.50 m, Bad Kreuznach, 2000

AufgespießtAus dem Jahr 2000 stammt eine Arbeit, in der das soeben Gesagte sinnfällig wird: „Aufgespießt“ heißt sie und aufgespießt werden darin zwei Objekte, ein übergroßes Ei und ein Holzmast-Fragment, die mit dem Spieß, der sie zusammenhält, einem Gehstock, zu einem neuen dreiteiligen Gesamtobjekt werden. Mit einem solchen „Welt-Schaschlik“ aus Gefundenem und Gemachtem geht die Künstlerin nicht anders vor als zum Beispiel ein Maler, der mit Blick und Pinsel die Gegenstände seines Interesses „festhält“ (aufspießt). Wie der ist sie in der Welt unterwegs (sie selbst persifliert die Arbeit als Osterspaziergang) und spießt einige Fundsachen auf ihren Spazierstock, die sie so scheinbar willkürlich miteinander vereint. Bezeichnend für Gudrun Schusters Kunst ist, dass es sich nicht um pure Objets trouvés handelt, die sie hier zusammenbringt, sondern um ein bearbeitetes Holzobjekt, das Maststück, und um die vergrößerte Nachbildung eines Eis, also eigentlich um das Bild eines Eis. Das ganze ergibt dann ein - vom Spieß -stabilisiertes und doch instabiles, „eierndes“ Ensemble, vergleichbar einem Schiff (Mast!) auf dem Wasser: Das Weltei auf großer Fahrt? Wie ein Maler, der vielleicht ein Stilleben plant, geht Gudrun Schuster durch die Welt oder eben wie ein Tricksterheros. Die Künstlerin „geht die Dinge durch“ - und stellt damit „Unfug“ an: Sie fügt zusammen, was nicht zusammengehört, und zeigt: Es passt doch zusammen. Sie stellt die Welt auf den Kopf und behauptet: Jetzt steht sie richtig. So etwa, wenn sie sich im Jahr 2001 ein Bus-Wartehäuschen vornimmt. Sie verfremdet es dadurch, dass sie es auf sein Dach stellt, mit den staksigen Stützen nach oben gerichtet, bekrönt von einem wirren Dach aus Schwarzdornzweigen, aus dem sie wiederum zwei geriffelte Stahlblech-Scheiben in Form von Frauenbeinen (als Damenstrumpf-Zitat) herausragen lässt, mithin unter dem Titel „Fishing sticks“ gleichsam Beine über Beine setzend. „Frisch, fromm, fröhlich, frei“, etwa gemäß dem bekannten Turnermotto (das übrigens der Maler Martin Kippenberger - ein Geistesverwandter? - zur ironischen Devise seiner Kunst erwählt hatte), macht sich Schuster über die Dinge der Welt her und Kunst daraus; sie treibt ihr Spiel damit, und doch ist es ihr ganz ernst, manchmal bitterernst.

Spiel und Ernst: Vom Gegen s t a n d zum Gegen s a t z. Gegenstände ziehen sich an und stoßen sich ab - bilden Gegensätze, bilden sich im und aus dem Gegensatz; Gudrun Schuster bildet Gegenstände im Gegensatz. Gegenstände ziehen sich an, und die Künstlerin zieht sie aus, entblößt sie und stellt sie damit öffentlich bloß. Hinter solcher tricksterhaft vorwitzigen Keckheit steckt aber zugleich Kalkül und Nachdenken, Hintersinn. Denn Entblößung ist immer auch Offenbarung: Gerade im Gegensatz, über Gegensätze öffnet die Künstlerin den Gegenstand und zeigt etwas aus seinem Inneren - ein Stück von seinem Wesen. Wenn Gudrun Schuster versucht, in solchen Antagonismen dem Leben und der Welt nachzugehen, so hat das freilich wieder mit dem besagten Lachen zu tun. Denn das Zusammentun von nicht Zusammengehörigem ist, wie sich aus jedem Witz herausanalysieren lässt, der Grund dafür, dass etwas komisch wirkt, zum Lachen bringt. Selbst den schärfsten Analytikern fällt es dabei allerdings schwer, exakt herauszufinden, warum etwas, das nicht zusammenpasst, in einem Fall Heiterkeit, im anderen aber Widerwillen oder Entsetzen auslöst. Was j e d e n- falls eintritt, ist Irritation. Wie stabil oder labil und fluktuierend die Kriterien für diese möglichen Reaktionen sind, darüber braucht sich die Künstlerin nicht den Kopf zu zerbrechen, im Gegenteil kann sie gerade mit diesem Mangel an Sicherheit wuchern; in solcher reaktiver Ambivalenz in bezug auf ein Kunstobjekt - und das Gegensätzliche an ihm - kann sie ein weiteres Mal den Gegensatz als Erkenntnismittel fruchtbar machen. Aber es geht nicht nur um Erkenntnis, sondern auch - und vielleicht an erster Stelle - ums „einfache“ Hinsehen, durchaus um die schöne Oberfläche, die sich ablöst vom Inhalt, neue Inhalte assoziativ gewinnt oder einfach ein gestisches Empfinden anspricht. So wachsen dem „Fishing sticks“-Wartehäuschen durch das krönende Motiv des Beinpaares so etwas wie Flügel. Ähnlich wie die Künstlerin mit ihrer vom Wind leicht bewegten „Luftlinie“ (1996) aus Rundeisen und Kupferrohr mit emphatischer Gebärde in den Himmel zu zeichnen scheint - damit zudem die Grenzen zwischen Objektkunst, Installation, klassischer Freiplastik und Zeichnung überschreitend. Wie schwierig es dabei ist, Äußeres und Inneres, Form und Inhalt strikt voneinander zu trennen, zeigt sich an dem für die Landschaft der bretonischen Küste (Pornichet) geschaffenen „Couple dansant“ aus dem Jahr 2000. Hier konfrontiert sie - mit einem Zedernholzstamm und gebogenem Rundeisen - zwei ideale Formen: vertikale Linie und Kreis (letzterer wiederum eine zeichnerische Bewegung, die des linearen Kreisens, suggerierend); reine Geometrie und doch - ja gerade deshalb - elementare Weltsymbolik (Weltsäule/Weltenbaum, Weltkreis) oder eben, titelgemäß anthropomorph gesehen, ein „tanzendes Paar“, womit erneut ein elementares Gegenüber erscheint, nämlich der Gegensatz der Geschlechter.

„Couple dansant“, Zedernholz und Baustahl, Höhe 3.50 m, Pornichet (Frankreich), 2000

Gegensatz, Umkehrung, Klärung, Tragik, Komik. Dass die Welt, so wie sie ist, verkehrt sei, haben nicht erst die Existentialisten und ihr Umkreis formuliert und darauf mit dem Begriff des Absurden reagiert, zu dem auch Motive des aberwitzig Komischen gehören. Manchmal muss die Welt eben wieder umgekehrt werden, um ad absurdum geführt - und damit richtig erkannt zu werden. Wenn Gudrun Schuster die Dinge verkehrt ordnet, sie durcheinanderbringt, so stellt sie damit etwas richtig, macht es erkennbar in seiner unerkannten Qualität. Als Trickster, Schelm, Narr, Künstler macht sie die Welt verkehrt und damit stimmig, weil das Verkehrte nun mal darin steckt. Oder sie macht sie überhaupt erst sichtbar, weil sie für uns weitgehend unsichtbar „funktioniert“, d. h. nur nach dem „Gesichtspunkt“ eines reißerischen Reizes „überflogen“ oder dem eines vordergründig Nützlichen kontrolliert wird. So ist auch die künstlerische Orientierung an der schönen Oberfläche in Wirklichkeit bereits ein Schauen hinter die Oberflächen, ein Weckruf an die Anlagen in den Gegenständen. Der Philosoph Arthur C. Danto spricht von der „Verklärung des Gewöhnlichen“ durch die (Objekt-)Kunst. Aber es geht eben nicht nur darum; oder wenn es, in einem gewissen Sinne, darum geht, dann ist gleichermaßen das Gegenteil davon beteiligt: nämlich die Klärung und Erklärung des Gewohnten - Begriffe, die also nicht dem wissenschaftlichen Blick auf die Dinge vorbehalten bleiben können. Solche rationale Klärung steht nicht unverbunden neben einer „Klärung der Seele“, einer Reinigung (Katharsis), wie sie in den „Elementen“ des Lachens und des Weinens, in Freude und Schmerz gleichermaßen befreiend zum Ausdruck oder Ausbruch kommt.

„Wie von fernen Gärten“, Weinbergspfähle, Schaumstoff, Teppichboden, Altes Rathaus Ingelheim, 1997

Wie von fernen GärtenEher die schmerzhafte Seite des Daseins vertritt ein Kunstwerk, mit dem Gudrun Schuster gleichwohl eine Art von motivischem Kongenium all dessen leistet, was oben angesprochen worden ist: „Wie von fernen Gärten“ nennt sie ihre 1997 geschaffene Rauminstallation nach einer Formulierung in dem Gedicht „Herbst“ von Rainer Maria Rilke. Wegen der besonderen Dichte und Komplexität, dem „Beziehungsreichtum“ dieses Werks soll es hier eingehender betrachtet werden. Obwohl oder gerade weil es gleichsam die Nachtseite von Schusters Kunst vertritt (und damit vordergründig untypisch für sie ist), soll es und darf es hier berechtigt als paradigmatisch für das Oeuvre der Künstlerin behandelt werden. Im Rahmen der Veranstaltung „Arthouse im Rathaus“ in Nieder-Ingelheim hängt Gudrun Schuster an die Decke eines Ausstellungsraums sogenannte Wingertspfähle, die mit ihren nach unten gerichteten Spitzen ein scheinbar chaotisches Gewirr von Diagonalen im oberen Raumbereich bilden. Die Künstlerin verkehrt dabei das Vorgefundene nicht dadurch, dass sie die Stickel umdreht, mit der Spitze nach oben wendet, sie belässt sie weitgehend in ihrer gewohnten Position, zieht sie nur ein Stück weit aus der Achse in eine labile Schrägstellung. Und doch ist es für den Betrachter ähnlich, als hätte sie die Holzpfähle umgekehrt; denn sie werden ihm mit der Spitze nach v o r n entgegengehalten. Allerdings kommen sie jetzt unerwartet von oben auf ihn zu. Denn eigentlich ist hier gar nichts mehr, wie es sein sollte; die Dinge scheinen sich selbst fremd geworden zu sein. Ein Gegenstand, der etwas halten soll, muss selbst gehalten werden (an der Decke): Wingertspfähle sorgen sonst nicht nur, sie „stehen“ für Festigkeit. Und nun taumeln sie in der Luft. Ihre Spitzen, die normalerweise unten im Boden verschwinden, werden nun bloßgelegt, eben von oben her dem Blick dargeboten. Was am Weinberg Sicherheit gibt, verspricht nunmehr Unsicherheit. Was in der Erde stecken sollte, rammt die Künstlerin quasi, d. h. absichtsvoll vergeblich in die Luft. Menschen, die den Raum betreten, müssen sich unweigerlich getroffen und bedroht fühlen, denn diese Hilfsmittel des Landbaus werden „anscheinend“ zu Waffen umfunktioniert. Von der suggestiven Wirkung her scheint Gudrun Schuster hier Pflugscharen in Schwerter zu verwandeln. Oder, noch näher, in Umkehrung des weiteren Textverlaufs von Jesaja (2, 4), Sicheln (Winzermesser) in Spieße. Keine freundliche Vorstellung, aber seit wann gibt das L e b e n vor allem freundliche Vorstellungen?
Was tut die Künstlerin letztlich, um diese Metamorphose, eigentlich eine Verwandlung des Gefühls, zu erzeugen? Sie nimmt einen - in diesem Fall kaum veränderten - Gegenstand (Wingertspfähle) und positioniert ihn neu im Raum. Der Raum - dieser bestimmte Raum - wird dabei von den dergestalt geordneten Objekten gewissermaßen in Mitleidenschaft gezogen. Der neue „Inhalt“ erobert und kontaminiert sein neues Gehäuse, macht es sich untertan und ähnlich, indem er die angestammte Schutzwirkung eines geschlossenen Zimmers aufhebt und in Bedrohung umkehrt. Indem Schuster das Material für diese Arbeit aus der Umgebung des Ausstellungsortes, damit zugleich der eigenen Lebensumwelt bezieht, indem sie also etwas einsetzt, das den Menschen von den Weinbergen des Rhein- und Nahetals her vertraut ist, verschärft sie noch den Widerspruch zwischen gewohnter und neu bestimmter Qualität der Dinge: Sie verfremdet Heimat etwa im Sinne eines verkehrten künstlerischen D e k o r u m, einer verweigerten Anpassung oder einer Angemessenheit, die sich selbst den Boden (auch im engsten Sinne des Wortes) entzieht.

Hinzu kommt die persönliche Bedeutung des Kunstwerks, das Gudrun Schuster in einer Lebenssituation geschaffen hat, die vom Verlust eines geliebten Menschen geprägt war. Das Werk ist ihrem langjährigen Lebenspartner, dem Bildhauer Friedrich Schuck, gewidmet, der unerwartet durch einen Unfall ums Leben gekommen war. Demjenigen Betrachter, der darüber nicht „im Bilde“ ist, kann sich diese Dimension der Arbeit, außer über eine durch die unmittelbare Anschauung vermittelte Ahnung, erschließen lassen über das von der Künstlerin gewählte literarische Analogon der Installation. In Rilkes „Herbst“ aus dem „Buch der Bilder“ (2. Teil) geht es ums Sterben der Natur und des Menschen, die Entsprechung von Jahres- und Lebenszeit, dargestellt besonders im Bild des Fallens. Dabei gebraucht der Dichter die schöne Vorstellung von den Himmelsgärten, aus denen die Blätter „wie von weit“ fallen; was da „mit verneinender Gebärde“ fällt, ist zum weiteren die nächtliche Dunkelheit der „schweren Erde“. Statt der Blätter oder der Erde sind es bei der Künstlerin die Pfähle, die - aus der Erde der (Wein-)Gärten - von oben her „verkehrt“ und bedrohlich (mit verneinender Gebärde) zu fallen scheinen.

„Fucking Jesus“, Gips, Sperrholz, Teppichrasen, Atelier 1998

Die religiöse Einbindung, die Rilke seinem Gedicht wie so vielen anderen gibt, scheint ebenfalls bei Schuster auf. Das auch bei Rilke beliebte Garten- oder speziell Weingarten-Motiv ist in der Bibel nicht nur Schauplatz, sondern immer wieder eingesetzte vielschichtige Metapher, wie auch die oben zitierte Jesaja-Stelle belegt. Die Assoziation Pfahl - Spieß (Speer, Lanze, Pfeil, Schwert) - Martyrium stellt sich ein und macht jeden einzelnen Betrachter potentiell zu einem heiligen Sebastian oder einer Schmerzensmadonna (mit von Schwertern durchbohrtem Herzen) oder zumTräger einer „raumgreifenden“ Dornenkrone, so dass es scheint, als sei der angemessenste Platz für diese Situation etwa die Seitenkapelle eines Kirchenraumes (übrigens tatsächlich ein Wunschort der Künstlerin für ihre „Gärten“).

Das verleitet zu einer Zwischenfrage an Gudrun Schuster: „Wie hast du’s mit der Religion?“ Diese berühmte „Gretchenfrage“ aus Goethes „Faust“, stellt sich - völlig (oder vielleicht doch nicht völlig) unabhängig von den in diesem Text verwendeten Religionsvergleichen - an vielen Stellen ihres Oeuvres. Wie sieht es in einem Menschen aus, könnte der Betrachter fragen, der den Taufstein für eine Pfarrkirche (in Bad Münster a. St.-Ebernburg, 2001) schafft und mit elementaren Symbolen der Taufe versieht, auf der anderen Seite aber Arbeiten mit provokativen Titeln wie „Fucking Jesus“ oder „Neon-Buddhi“ (beide 1998) oder einen „Altar der leichten Liebe“ (1996, mit einem pin-up-artigen „Retabel“- Bild aus dem Alltagskult der Tatauierungen). An dieser Stelle mag die erklärende Antwort genügen, dass es hier weniger um eine Auseinandersetzung mit den ethisch-relgiösen Kerngehalten geht, als vielmehr darum, eine wohlfeile, oberflächlich modische oder sentimental-bigotte, eine politisch-machtbewusste oder ökonomisch verwertende Indienstnahme religiöser Motive hervorzukehren. Nicht Jesus, Maria oder Buddha, sondern ihre instrumentelle Schematisierung oder Stereotypisierung wird dabei mit Mitteln aufs Korn genommen, die sich nicht selten kalkuliert am Rande des so genannten guten Geschmacks bewegen. Aber zu betonen ist dabei auch (und sogar biblisch begründbar), dass selbst eine Polemik, die sich etwa gegen den generellen Heilsanspruch einer Religion wie der christlichen richtet, ja selbst eine ausgewachsene Blasphemie, je nach der dahinter stehenden gelebten Einstellung, „heiliger“ sein kann als das, was heilig zu sein vorgibt.

„Lilie“, Orgelpfeife, Pappe, Papier, Farbe, Höhe 2.60 m, 1999

Nach diesem kurzen Seitenblick auf das Verhältnis der Künstlerin zum Thema „Religion“ noch einmal - und abschließend - zurück zu der Arbeit „Wie von fernen Gärten“ und in diesem Kontext auch noch einmal zurück zu Rilkes „Herbst“. Zuvor wurde bereits die - widerspenstige - Befolgung eines lokalen Dekorum in Bezug auf die landschaftstypische Weinkultur angesprochen. Bedenkt man nun, dass Gudrun Schuster diese Objekt-Installation im Herbst 1997 geschaffen hat, so erweitert und verdichtet sich das Ganze zugleich. Es scheint fast so, als wollte die Künstlerin mit ihrem dramatischen Herbstgedicht die aristotelische Drei-Einheit von Ort, Zeit und Handlung auf ihre eigene Weise künstlerisch umsetzen. Geographischer, jahreszeitlicher, lebenszyklischer, poetisch-literarischer, religiös-ikonographischer und persönlich-biographischer Bezug werden zu einer Einheit gebracht, die aber nur den formellen Rahmen liefert für den substantiellen Konflikt und Widerspruch. Soweit besteht noch keine Differenz zum klassischen Drama, das sicher ebenso wenig „heile Welt“ vorgaukeln will. Dennoch herrschen in diesem Tendenzen einer Konfliktlösung, mittels der die Dinge zum „Aufgehen“ gebracht werden sollen - darin ähnlich dem Schluss von Rilkes „Herbst“, wo es versöhnlich heißt: „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Bei Gudrun Schuster kann es so sanft nicht zugehen. Hier erscheint die Welt sperrig und schwer harmonisierbar. Die Künstlerin legt in diesem Sinne „sanfte“ Fallstricke, indem sie Elemente einer unverkennbar scheinhaften Versöhnlichkeit einbaut - wie den mit Schaumstoff unterfütterten, dadurch weich (bequem, aber zugleich unsicher) gemachten, grünen Teppichboden, dessen Idylle trügerisch wirkt: Ein künstliches Paradies als ironischer Locus amoenus? „Sanft in den Händen halten“ kann der Ausstellungsbesucher, wenn er emporgreift, das äußerlich gesicherte Fallen der „Wingert-Speere“, kann die Bewegung eines Pfahles an die andern weitergeben und zurückkommen lassen (womit übrigens wieder der zyklische Gedanke aufgenommen wird). Weit entfernt von der elaborierten Ästhetik eines Alexander Calder inszeniert Schuster ein „handfest“ - bewegliches oder, wie man heute gerne sagt, ein interaktives Hängekunstwerk. Ein schreckliches Mobile, das seine Drohgebärde im Spiel vergessen lässt. Denn letztlich geht es darum, dass das Spiel weitergeht. Überhaupt ist wohl eine Quintessenz der „Gärten“ wie auch anderer, gleichfalls so oft vom Bewegungsmotiv mitbestimmter Arbeiten von Gudrun Schuster: Das Leben ist ein Spiel - ein böses und ein schönes; wir müssen es so ernst nehmen, wie es das verdient - auch wenn es oder weil es manchmal zum Verzweifeln komisch ist.

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